Wahlplakat Interpretationshilfe

Das Plakat mit dem Titel „Sozialtourist?“ zeigt das Bild des syrischen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, der zusammen mit seinem 5 Jahre alten Bruder Galip und seiner Mutter Rehan am 2. September 2015

Nahe Bodrum bei dem Versuch mit einem Schlauchboot die griechische Insel Kos zu erreichen ertrank.  Ergänzt wird das Bild durch ein angedeutetes Logo in blau/weiß, einer sich christlich nennenden Partei,

in farblicher Nähe zur der Partei, die keine Alternative ist für Deutschland. 

Über das Bild

Die Aufnahme stammt von der türkischen Fotojournalistin Nilüfer Demir aus Bodrum. Sie fand die Leiche des toten Jungen, der wie Treibgut an den Strand gespült worden war.

Sie selbst sagte über Ihre Aufnahme:  „Ich wollte den verstummten Schrei des Jungen hörbar machen.“

Das Bild bringt auf den Punkt, warum Menschen die Gefahr einer Flucht auf sich nehmen: Viele Flüchtlinge wollen vor allem Ihren Kindern ein Leben und eine Zukunft ermöglichen. 

Die Frage, ob ein solches Bild veröffentlich werden darf, bewegte schon 2015 Öffentlichkeit und Medien.

„Die Würde der Toten wird durch die Veröffentlichung der Fotos ihrer Körper mehr geachtet als durch das Verstecken, denn die Wirkung ihrer Lebenswirklichkeit kann den notwendigen Wandel bewirken,um weiteren unnötigen Tod zu vermeiden.“

Mark Micallef, Direktor der Beobachtungsstelle für Nordafrika und die Sahelzone der NGO Globale Initiative gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, 2015

„Den Menschen ging das Herz auf, als sie das Leid in diesem Bild sahen. Es brachte sie zum Nachdenken: Was ist, wenn dir das passiert, wenn du alles verlierst, dein Zuhause, dein Land, du hast keinen sicheren Ort, kein Essen, kein Geld, was wirst du tun? Es ist zu einer ständigen Erinnerung für die Menschen geworden, anderen zu helfen, dass wir alle einander brauchen und dass wir alle eins sind.“ Tima Kurdi [2],  August 2018

Das Foto von Alan Kurdi löste 2015 eine Welle der internationalen Anteilnahme an der Flüchtlingskrise aus, die längst verebbt ist.

Sozialtourismus

Sozialtourismus ist ein politisches Schlagwort, das von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden bereits vor 10 Jahren, nämlich 2013 zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Damals hatte der Staatssekretär Günter Krings (CDU) des Bundesministerium des Innern das Wort in Umlauf gebracht. Mit dem Ausdruck „Sozialtourismus“ wurde 2013 gezielt Stimmung gemacht gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa.

Das Grundwort „Tourismus“ suggeriert in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reisetätigkeit. Das Bestimmungswort „Sozial“ reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu. So urteilte die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache.

 CDU und Sozialtourismus

Im September 2022 nutzte der Bundesvorsitzende der CDU Friedrich Merz den Ausdruck Sozialtourismus, um einer nennenswerten Anzahl von Flüchtlingen aus der Ukraine Sozialbetrug vorzuwerfen. Zahlreiche Medien entlarvten diese Behauptung schnell als Fake News. Merz entschuldigte sich zwar für den Begriff, hielt aber an seiner These des Sozialbetrugs durch Flüchtlinge fest und ist damit gleichklingend mit den Aussagen der AfD. [6]

AFD und Sozialtourismus

Der innenpolitische Sprecher der AfD, Gottfried Curio, hatte im Jahr 2020 anlässlich der Beratung des Antrags der Fraktion der Linken zu „Konsequenzen aus dem Brand in Moria ziehen – Lager auf den griechischen Inseln auflösen und Geflüchtete in Deutschland aufnehmen“ von Sozialtourismus gesprochen. Curio warf in seiner Rede pauschal allen Flüchtlingen aus Afghanistan und Syrien vor Sozialtourismus zu betreiben. [1]

[1] Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 174. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. September 2020, Plenarprotokoll 19/174 S. 46 – 62  Abrufbar vom Server des Bundestags


[2] Tima Kurdi, Der Junge am Strand, Die Geschichte einer Familie auf der Flucht